Der Film "Striche ziehen"
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Man hatte es ja fast erwartet. Die Ambitionen nach
multimedialer Thematisierung der weissen Strich-Aktion würde neben
Buch, Wanderausstellung, Interviews, Kulturmagazin-Beiträgen schliesslich
auch einen Dokumentarfilm auf den Aufarbeitungs- Marktplatz bringen. Unter
dem Titel "Striche ziehen" ist er Mitte der Zehner Jahre erschienen. Ich
habe ihn zum ersten Mal im Dezember 2016 im MDR gesehen.
Es geht in dem Film nur marginal um die Strichaktion,
obwohl soviel hätte dazu erzählt werden können. Zum Beispiel
über die Hinter-
gründe: Der Bau der Mauer nun geschildert
aus einer endlich relativ ideologieunabhängigen, von der Absicht der
Zersetzung des gegne-
rischen Gesellschaftssystems freien Sicht. Auch
die Westberliner Situation der 80er Jahre sowie Motivationen und
Ausbreitungsverlauf der massenhaften Mauermalereien in den frühen
und mittleren 80er Jahren hätte dokumentiert werden können.
Statt dessen wird der Film zum subkulturellen
Milieustreifen einer Alternativszene in dem Dichter-Klassiker-Städtchen
Weimar, aus der sich später die fünf Strichezieher als angeblich
feste Künstlergruppe bildeten, deren Besetzung bei der Strich-Aktion
deshalb angeblich alternativlos war. Der Zuschauer muß so die "Regionalisierung"
einer Aktion zur Kenntnis nehmen, die hinsichtlich möglicher Personen-
beteiligung absolut überregional orientiert
war und mit Ausnahme des Initiators durchaus auch durch andere Personen
hätte besetzt werden können.
Nachdem ich „Striche ziehen“ Ende 2016 im MDR-Fernsehen
gesehen habe behaupte ich, daß es viel treffender gewesen wäre,
diesen Doku-Streifen „Der Bruderverrat“ oder „Weimars Subkultur der
80er Jahre“ zu nennen. Denn der Film behandelt vor allem genau diese beiden
Themen und hat mit dem weissen Strich im Grunde ausge-
rechnet nur dann wenigstens ein bißchen
etwas zu tun, wenn er in seinen wenigen darüber handelnden Erzählungen
auch noch ziemlich oder sogar völlig daneben liegt. Zudem fühlt
sich der Film spätestens ab der Hälfte tendenziell wie eine Statement-Aneinanderreihung
an, auch wenn dem Zuschauer durch szenische Einsprengsel immer mal wieder
Zeit zum Luftholen gegeben wird, bevor es in die nächste Statement-Runde
geht. Daß sich diese Äußerungen immer um Wei-
mar, Punk, Stasi, Verrat und selten um Strich-Aktion,
gar nie um Leben in der Mauerstadt und deren Wahrnehmung drehen ist
zwar schade, aber aufgrund der von Willmann und den Medien zuvor ge-
nerierten Bedeutungsrichtung letztlich nur konsequent.
Brennstoffhilfe vom MfS
Die rote Linie des Films ist im Grunde darauf ausgerichtet,
den weissen Strich schnurgeradewegs zurück ins Weimarer Subkultur-
Milieu der 80er Jahre führen zu lassen, um
nach dessen Porträtierung direkt auf die Protagonisten des beabsichtigten
Film-Zentrums zu zoomen: der Auseinandersetzung der Brüder Onisseits
über den Verrat des einen am anderen und dessen Freunden. Jürgen,
der im Film als der MfS-Informant interviewt wird , der er durch seine
Kontakte mit dem MfS auch real gewesen ist, erzählt von vornherein
unkaschiert von der Situation, in der er sich befand, als man erfolgreich
versuchte, ihn als Internen Mitarbeiter der Staatssicherheit anzuwerben.
Mit den 125 Ostmark Lehrgeld sei kein wirkliches Aus-
kommen gewesen, zumal mit Kind und erst recht
im Winter, wo zu den notwendigen Lebensmitteln noch Kohlen für den
Ofen gekauft werden mußten.
Einerseits hört es sich wie ein Vorwand an,
denn wenn in der DDR etwas nahezu hundertprozentig abgeschafft war, dann
der Kälte- und Hungertod, schliesslich lebte man im S o z i a l ismus
und der wollte wenigstens in dieser Hinsicht seinem Namen alle Ehre
machen. Auch klingen die 125 Mark weniger, als sie in Wirklichkeit waren.
Die Miete betrug circa 50 bis 90 Pfennig pro Quadratmeter, eine Busfahrt
und ein Brötchen kosteten ein paar Pfennige, die Grundnahrungsmittel
waren aufgrund der staatlichen Subventionen sehr preiswert. Daß Jürgen
Onisseit hier drastische Existenznot anführt, um seine Ent-
scheidung mit der Unfreiwilligkeit eines puren
Überlebenszwanges zu begründen wirkt wie eine sich vor sich selbst
und der Öffentlichkeit entlastende Konstruktion, andererseits gehörte
zu dem, was er mit der Metapher "Kohlengeld" als puren Überlebenskampf
suggerieren will natürlich auch die Finanzierung seiner Alkoholsucht,
die als eben Sucht die unfreiwilligen Züge annimmt, welche unter suchtfreien
Um-
ständen nur die Grundbedürfnisse Essen,
Schlafen, Wohnen charakte-
risieren.
Doch Überlebenskampf hin oder her, sich deshalb
mit der Stasi einzulassen und das auch noch, obwohl man längst auf
der Gegenseite der gesellschaftlichen Mächte agiert, ist eben völlig
inakzeptabel, aber nun auch nicht mehr zu ändern oder gar zu ent-schuldigen.
Die Schuld bleibt und ist durch nichts wieder zu nehmen. Allerdings kann
man nach all der inzwischen vergangenen Zeit versuchen, entspannt damit
umzugehen.
Zu diesem ganzen Thema seiner Einlassung redet
Onne in Kroskes Film nicht um den heissen Brei: Sein Statement, daß
er die Einwil-
ligung von der Zusage von Honorierung abhängig
machte, ist unumwunden.
Geldmotive angegeben hatte Onne auch bereits 2010
gegenüber Frank Willmann und seinem Bruder Thomas, nachdem seine MfS-Tätigleit
schließlich nicht mehr zu verbergen war, aber da die beiden ihm offenbar
nicht glauben wollten, daß er sich mangels optimaler Mitarbeit die
ganze Zeit nur im test-orientierten Vorlauf-Stadium eines IMs befand und
auch nicht bereit war, einen Verrat einzugestehen, der unter der elementaren
Voraussetzung des
tatsächlichen Wissens so auch gar nicht stattgefunden
hatte, war der Eklat perfekt. "Wir wollten ihn doch nicht vor ein Tribunal
zerren, sondern nur wissen, warum er es gemacht hat, aber wenn er es nicht
sagt, soll er eben in seinem Waldgrundstück verschimmeln" äußert
Frank Willmann sinngemäß in Kroskes Film, obwohl ihm Onne sein
Motiv zur Zusammenarbeit mit dem MfS bereits 2010 genannt hatte.
Und damit ist auch schon das zentrale Dilemma
des Films markiert: der permanente Versuch, Jürgen Onisseit den festgelegten
Platz zuzuweisen: den des Mauerers, der seine Beweggründe nicht nennt,
obwohl er es längst getan hatte und der seinen Verrat nicht gesteht,
obwohl man nur verraten kann, was man weiß. Anscheinend würde
man ihm gern verzeihen wollen, aber dazu müßte er sich verdammt
nochmal erstmal in ihrem Sinne schuldig fühlen.
So manövriert sich der Film letztlich immer
mehr auf ein Schachbrett, auf dem die Figuren Unschuld und Schuld, Opfer
und Täter, Bohren und Dagegenhalten sich schliesslich mit einem Patt
trennen. Daß eine so private emotionale Angelegenheit wie die Klärung
eines Bruder-
verrats überhaupt erst vor der Kamera zum
ersten Mal stattfindet hat im übrigen einen schlechten Geschmack,
der vor lauter Appetit auf allen Seiten (den Zuschauern und den Aufklärern)
offenbar von dem
meisten ganz und gar nicht als schlecht wahrgenommen
wird.
Bruderverrat
Der zentrale Streitpunkt des Bruderdisputs ist
der, daß Jürgen sich nicht zu einem Verrat der Protagonisten
einer im Oktober 1983 stattgefundenen Sprüche-Sprüherei an Weimars
Fassaden bekennen will, weil er die Beteiligten nur gemutmasst und dabei
bei einigen von ihnen „ins Schwarze“ getroffen hatte. Eine Aussage, die
man ihm nach Ansicht der Protokolle durchaus glauben muß, denn nach
denen ist er in erster Linie damit beschäftigt, den Verdachts-Focus
auf seine Freunde aus seiner Punkband zu entkräften und verweist deshalb
spekulativ, aber aufgrund seiner Szene-Kenntnisse auch nicht völlig
beliebig, auf andere, miteinander befreundete Personen, die er namentlich
nennt, darunter auch solche, die an der Sprühaktion nicht teilnahmen.
Hätte er von der Aktion und seinen Akteuren tatsächlich gewusst,
würde er sicher auch nur die Namen gesagt haben, die tatsächlich
anwesend waren. Seine Spekulation hätte sich durchaus auch komplett
als nicht zutreffend erweisen können. Daß seine Aussage
dem MfS bei der Aufklärung erheblich mitgeholfen hat, macht
daraus noch keinen Verrat und damit ist es dann tatsächlich auch zuviel
verlangt, von Onne ein Geständnis und daraufhin die Bitte um Ent-Schuldigung
zu erwarten, zumal Schuld dieser Art niemals ent-schuldigt werden
kann und sich vor allem dann als Heuchelei erweist, wenn sie, solange nur
als Geste gefordert, nur das formal eingesetzte Tauschmittel für Vergebung
ist. Doch wer will jemals ermessen können, wann die formale, emotionsgeheuchelte
Geste aufhört und an ihre Stelle tatsächliche Gefühle treten.
Wer sich hingegen mit einem Formalismus bereits zufrieden gibt -was ich
Thomas Onißeit hier nicht unterstelle, aber die für eine solche
private, emotional tiefe Angelegenheit letztlich
oberflächliche Kamera-Situation läßt eine echte Subtilität
gar nicht zu - der hat letztlich nichts anderes verdient als bloß
eine formale Geste, deren
Hintergrund ihm unklar bleiben wird.
Brüche, Wider-Sprüche
Es relativiert und rechtfertigt keinen Verrat,
wenn man die Frage stellt: Haben die Sprühakteure nicht vorher gewusst,
daß eine nach DDR-Gesetz illegale Handlung den Verfolgungsapparat
auf den Plan rufen und solange nicht zur Ruhe kommen lassen wird, bis die
Tat aufgeklärt ist? Und daß das im Vergleich zu zuvor stattgefundenen,
ähnlichen, aber vergleichsweise glimpflich behandelten Aktionen hohe
quantitative Maß und der Inhalt mancher Parolen nicht eben angetan
waren, von der politischen Polizei der Diktatur anzunehmen, daß sie
in diesem Fall bloß eine Verwarnung erteilt.
Wieviele politische Straftaten blieben in der
DDR unaufgeklärt?
Welche ungebrochenen Perspektiven hatten die damaligen
Akteure überhaupt als Punks oder anderweitige „Outlaws“ in der
DDR? Sollte das alles nur ein spätpubertärer Ausflug in die Nonkonformität
werden, von dem man später nach Hause zurück in die DDR-Norma-
lität und ihre vorgesehehen Laufbahnen fährt
? Bedeutet politische Haft, wenn sie Folge ernsthaft gemeinter Opposition
gewesen ist, nicht vielmehr die Kontinuität und Radikalisierung von
Opposition auf Kosten einer biographischen Normalitäts-Garantie ?
Was hat das Bedauern über bestimmte Kontinuitätsbrüche in
der Biographie ei-
gentlich mit Punk, überhaupt mit modernem
Leben zu tun? Ist die nach oder in der Haft erfolgte Übersiedlung
in die Bundesrepublik ein biographischer Bruch oder nicht viel eher ein
biographischer Sprung gewesen, gesprungen über den tiefen Graben,
der in der DDR zwi-
schen Anspruch und Wirklichkeit, blossem
Existieren und tat-
sächlicher freier Entwicklung lag und der
nicht zufällig bis zu Gorbatschows Glasnost-Offensive von innen heraus
nicht zu beheben war? In einem radikal diktatorischen Gesellschaftssystem,
einem
Ausschließungssystem gibt es zur radikalen
Opposition keine Alternative.
Daß es oft auch zu erzwungenen Brüchen
kam, deren Folgen unvor-
hersehbar und dramatisch verliefen, also keineswegs
irgendeine
Tür öffneten außer diejenige in
die Misere ist damit überhaupt nicht bestritten.
Ich zweifle lediglich die Selbstverständlichkeit
an, mit der jeder mehr oder weniger unfreiwillig erfolgte Bruch in der
Lebensbiographie als automatisch negativ betrachtet wird und das vor allem
dort, wo die persönliche Zukunftsdisposition sowieso mit Kontituitätsvorstellun-
gen gebrochen zu haben scheint.
Bruderverrat und Vernehmung
Bei der Aufklärung zu der damaligen Sprühaktion
Ende Oktober 1983 bin auch ich damals vernommen worden. Nachdem ich in
der Nacht zum Montag gerade von einem zweitägigen Festival aus Jena
zu-
rückkam wurde ich von der Polizei um Mitternacht
auf dem Weimarer Goetheplatz verhaftet und ins Präsidium gebracht.
In einem Verneh-
merraum mußte ich bis morgens 8 Uhr auf
einem Stuhl sitzen. Während ich inzwischen todmüde war, kam mein
Vernehmer am Morgen ausgeschlafen und hochmotiviert ins Vernehmungs- Zimmer
und bombardierte mich gleich mit allerlei Drohungen. Da man mir ja
wo nichts gewesen war auch nichts beweisen würde können prallte
das alles an mir ab, aber wie ernst es meinem Gegenüber mit vorweisbaren
Aufklärungsergebnissen war spürte ich bereits nach wenigen Augenblicken.
Nach erfolgreicher Blockade, die bis nach Mittag anhielt machte ich am
Nachmittag jedoch einen Fehler, indem ich, genervt von den immergleichen
Fragen, dem Vernehmer entgegnete: "Was machen sie eigentlich
so ein Theater wegen so ein paar harmloser Parolen.“ Worauf er schloß,
daß ich zumindest einen Teil der Parolen kannte. Zum ersten Mal hatte
ich plötzlich ein Problem. Ich redete mich heraus, ich wisse die Parolen
gar nicht, lediglich die, die er mir am Morgen noch selbst gesagt habe
(was er wiederum abstritt), es sei ohnehin nur so dahergesagt. Aber
er wollte, daß ich gestehe oder ihm sage, woher ich die Parolen wisse.
Die Situation zog sich in ihrem starrsinnigen Wiederholungsmodus dahin,
aber der Druck und die Erschöpfung nahmen zu, ich war jetzt seit etwa
32 Stunden ohne Schlaf. Ich sagte nun aus, daß ich einige der gesprühten
Sprüche von Thomas Onisseit erfahren hätte. Thomas hatte mir
ein paar der Parolen im Cafe "Resi" erzählt, wo er sie unverantwortlicherweise
weitergegeben hatte. Unverantwortlich deshalb, weil man – wie uns schon
diverse Widerstandspraktiken aus anderen Diktaturen überlieferten
- seine Freunde und Bekannten nicht mit solcherlei Wissen befrachtet.
Dazu möchte ich - Thomas Onißeits Verhalten erklärend -
jedoch noch eine kleine Anmerkung machen.
Moderne versus Stalinismus: ein Paradox.
Zu Thomas Onißeits Verantwortungslosigkeit
gesellte sich das Paradox, sich einerseits sehr bewußt darüber
gewesen zu sein, in einem Überwachungsstaat zu leben, andererseits
aber im über-
wachten öffentlichen Raum seine strafrechtlich
verfolgbaren Aktivitäten auszuplaudern. In besagtem Cafe „Resi“ gab
es Spitzel, darunter anonyme Mithörer ebenso wie Szene-Bekannte und
Freunde, was wir damals auch annahmen und uns später bestätigt
wurde. Ich oder ein hellhöriger Tischnachbar hätte ein solcher
Spitzel sein kön-
nen. Ich führe Thomas Onißeits Verhalten
auf die Ambivalenz der damaligen gesellschaftlichen Situation zurück,
die durch folgende Situation gekennzeichnet war: Die offizielle Seite der
Gesellschaft befand sich im diktatorischen Modus der stalinistischen Nachkriegs-
gesellschaft mit all ihren Überwachungs-und
Repressionsmechanis-
men. Die inoffizielle, aber sehr reale Seite der
Gesellschaft, insbe-
sondere ein zunehmend grösser werdender Teil
der Jugend war in der freien Moderne angekommen und lebte daher einen vergleichsweise
lockeren Umgang mit den gesellschaftlichen Verhältnissen, drängte
nach materiellen und ideellen Realitäten, die ihrem Bedürfnis
nach Moderne entsprechen würden. Auf die stalinistische Nachkriegsge-
sellschaft mit organisierter Konspiration zu antworten
schien dieser modernen Jugend das falsche Mittel: Einerseits, weil Konspiration
in ihrer strengen Organisiertheit und Ernsthaftigkeit der Art und Weise
des Systems zu sehr glichen, zum zweiten, weil sie den letzten Rest an
Spaß aus dem ohnehin schon von Maßregelung und Steifheit ge-
kennzeichneten Leben nahmen. An die Stelle solcher
Anachronismen setzten zunehmende Teile der Jugend immer mehr auf das Risiko
echter Freiheit: spontan, unkonspirativ, unverhohlen. So kam es zu dem
Paradox, daß man mitten in einer totalen, vormodernen Repres-
sionsgesellschaft nicht in der Weise auf sie reagierte,
wie es zur eigenen Sicherheit eigentlich notwendig war. Was dazu führte,
daß spontanes Abweichungsverhalten ( Ausdruck tatsächlicher
Freiheit) von der auf absoluten Feindseligkeitsmodus programmierten Über-
wachungs-Bürokratie in stalinistischer Manier
überbewertet und ent-
sprechend drastischsanktioniert wurde.
In ihrer Abwendung von Geheimnistuerei und konspirativer
Anony-
mität zeigten Teile der Jugend bereits äußerlich
ihren Nonkonfor-
mismus und signalisierten damit auch, daß
Veränderung nicht bloß Sache des Bewußtseins, sondern
eben des gesamten Lebens und seiner Manifestationen ist: Der Kleidung,
Lebensführung, dem kul-
turellen Geschmack, der Selbstverständlichkeit
menschlicher Freiheit und Offenheit usw. Da eine solche Lebensweise den
Nonkonformis-
mus viel umfassender, breiter artikulierte als
eine lediglich kopfge-
steuerte, realpolitische Opposition mußte
das die Ordnungshüter im Grunde viel mehr geärgert haben als
jede noch so zersetzungswillige geistige Dissidenz, auch wenn dieser wegen
ihrer Geheimnishaftigkeit stärker der Geruch des staatsfeindlichen,
organisierten Bösen anhaf-
tete.
Thomas Onißeits unverantwortliche Indiskretion
ist der hier beschrie-
benen paradoxen Situation zwischen Repressionssystem
und moder-
ner Freiheit geschuldet. Für letztere galt:
Ende der Konspiration und totalen Organisation. Ende der Geheimnistuerei.
Freiheit oder Tod. Offenheit oder Nichtsein. Vielleicht ist die Vehemenz,
mit der er später seinen Bruder zum eindeutigen Verräter seiner
damaligen
haftsanktionierten Handlung machen will auch ein
bißchen eine sich von dieser fatalen Unbedarftheit selbst entlastende
Umleitung der Verhaftungs-Ursachen in eine einzige Richtung.
Widerstandkämpfer unter dem Nationalsozialismus
zum Beispiel haben gerade aus dem Bewußtsein darüber,
daß sie sich in einer Dikatur befinden über ihre Vorhaben und
Aktivitäten mit anderen außer ihren Mitakteuren nicht gesprochen.
Am Ende konnte es der Dikatur nur recht sein, daß
einige ihrer Bürger sich gewisse Freiheiten herausnahmen, die sie
für den Überwachungs-
apparat leichter erkennbar und im Strafrechtsfall
dann mitunter auch leichter überführbar machten.
Gegenüberstellung
Schließlich kam es an jenem Montag Spätnachmittag
zu einer Gegen-
überstellung zwischen mir und Thomas Onisseit,
den sie, nachdem ich ausgesagt hatte, von ihm ein paar der gesprühten
Parolen erfahren zu haben, ins Polizeipräsidium gebracht hatten. Er
stritt ab, ich wie-
derholte. Er stritt ab, ich wiederholte. Sie behielten
ihn schließlich da, mich entließ man am Frühabend. Völlig
erschöpft ging ich nach Hause und erzählte meinem Mitbewohner
Volker von den gerade geschehe-
nen Ereignissen. Ich wollte es nicht für
mich behalten.
Von Thomas Onißeit habe ich erst wieder
erfahren, als ich mich drei Monate später selbst in Untersuchungs-Haft
befand. Sein Zellenmit-
insasse wurde zu mir verlegt und erzählte
mir von ihm.
Thomas hat mir diese Gegenüberstellung jahrelang
nicht verziehen. Ich war für ihn derjenige, der ihn ins Gefängnis
gebracht hat. Spätestens, als ich dann wegen des weißen Strichs
erneut ins Gefängnis kam hatte sich sein Groll verzogen, wie ich nach
meiner Entlassung wahrzunehmen glaubte. Und mit diesem Groll hatte sich
offenbar auch seine komplette Erinnerung an die damalige Gegen-
überstellung aus seinem Gedächtnis verflüchtigt,
denn als ich ihn erst jüngst darauf ansprach, konnte er sich
an nichts erinnern. Seltsame Aufarbeitung. Wie will man etwas aufarbeiten,
wenn einem zu rele-
vanten Ereignissen, deren Aufklärung man
sogar selbst unbedingt voranbringen will, das zeitbezeugende Gedächtnis
fehlt.
Gewissen-Haft
Frank Wilmann glaubte bis 2010, ich würde
seit dieser Gegenüber-
stellung ein schlechtes Gewissen haben, von dem
er mich nun durch die Nachricht, Jürgen Onißeit habe die
Sprühakteuere damals ver-
raten, entlasten könne. Schlechtes Gewissen?
Wir wußten, was wir taten, wenn wir etwas nach DDR-Gesetz Illegales
taten. Wir wussten auch, daß jeder bei der Anstrengung, dem Druck
und den Taktiken der Vernehmer erfolgreich standzuhalten, an seine Grenzen
gehen würde, wenn er durch Aktionen anderer in die Verhörmühlen
des MfS geriet. Wenn er dabei aus irgendeinem Grund am Ende scheiterte,
war es ihm nicht vorzuwerfen und hatte seine Ursache auch nicht zwangs-
läufig in psychischer Anfälligkeit.
Die Vernehmer griffen ihr Gegen-
über auf ganz unterschiedlichen Ebenen an
und spekulierten auf lo-
gische Fehler und Widersprüche ebenso
wie auf physische und psy-
chische Zusammenbrüche.
Wir wussten zudem, daß wir in einer Diktatur
lebten und wir deshalb das, was uns akut in Schwierigkeiten bringen würde,
möglichst für uns zu behalten hatten, ohne daß unser Gefühl
von Offenheit da-
runter leiden müsste. Es wäre nur eine
Frage des nüchternen Um-
gangs mit solchen notwendigen Gheimhaltungen.
Von unseren zum Boykott der Kommunalwahlen aufrufenden
Flug-
blättern haben wir vier Täter (und wir
waren Täter im tätigsten, tatendrängendsten und gesetzebrechendsten
Sinn des Wortes) niemandem in Weimar jemals etwas erzählt. Es war
die Abhörwanze, die uns letztlich verraten hat. Zwischen Konspiration
und Indiskretion gab es einen Mittelweg. Er sah so aus, daß man -Eitelkeit
und entspannter Offenheit zum Trotz- von seinen Aktivitäten dasjenige
lieber für sich behielt, was zu einem ernsthaften juristischen Problem
führen könnte.
Dokumentations-Lücken
Im Film "Striche ziehen" wird mit keinem Wort diese
damalige Ge-
genüberstellung erwähnt. Als ich Thomas
Onißeit schriftlich darauf ansprach, konnte er sich wie erwähnt
nicht mehr daran erinnern, was ich zwar nicht anzweifeln möchte, aber
angesichts der erklärten Absicht, die Vergangenheit aufarbeiten zu
wollen, ziemlich dürftig halte, Vielleicht hat ihn die mit Schock
und bitterer Erkenntnis einhergehende Enttarnung seines Bruders bei der
Sicht auf diese Ereignisse so in seinem Blickwinkel vertunnelt, daß
sich andere Aspekte des Geschehens um seine Verhaftung völlig verflüchtigten.
Und Frank Willmann? Er hat sein Wissen offenbar einfach unter den Tisch
fallen lassen, denn er hatte ja jetzt in Jürgen Onisseit den Verräter,
der allein vollumfänglich verantwortlich gemacht werden konnte. Oder
er glaubte, daß mit Jürgen Onißeits Täter-Mutmaßungen
alle anderen Bestandteile der MfS-Aufklärung letztlich unerheblich
für den Ermittlungserfolg wurden.
Für das MfS - wie für jede Aufklärungsbehörde-war
nicht allein eine Aussage relevant, sondern bedeutete jede Aussage ein
Teil in einem Aufklärungspuzzle. Komfortabler und letztlich auch spektakulärer
ist es aber, einen Sündenbock auszumachen und sich dann auf diesen
zu focussieren. So wird auf einem im Namen der Aufarbeitung produ-
zierten Film im Grunde dessen Gegenteil, wie meiner
Meinung nach auch folgendes Beispiel zeigt. Daß sich Jürgen
Onißeit in seinem damaligen Doppel-Leben in einer schizophrenen Situation
befand wird ihm von Gerd Kroske mal eben einfach öffentlich abgesprochen,
weil es keine ärztliche Diagnose gäbe. Selbstverständlich
handelt sich bei dieser Art Schizophrenie um keinen psychopathologischen
Befund, sondern einen Situationsbefund, der durch inneres Spaltungsver-
halten gekennzeichnet ist und den Betroffenen
zu Selbsttäuschung, Abspaltung oder Harmonsierungsleistung nötigte:
Entweder das Doppelleben unter einen Hut bringen oder gleichzeitig zwei
Hüte aufsetzen. Die Gespaltenheit der Situation wird so zu seiner
eigenen. Man spricht ja häufig davon, daß sich jemand in einer
schizophrenen Situation befindet oder sich völlig schizophren verhält.
Nie wird damit ein Zustand gemeint, der identisch ist mit dem, der in einer
psychia-
trischen Diagnose ausgedrückt ist. Genau
diese nichtmedizinische Auslegung des Begriffs blendet Kroske einfach aus,
legt stattdessen strenge psychomedizinische Maßstäbe an, um
Onnes Selbstwahr-
nehmung als schizophren handelnde Person als
einen Versuch zu betrachten, sich herausreden zu wollen. In der künstlich
erzeugten Atmosphäre des Gewissens sind alle Erklärungsversuche
per se Versuche, sich herausreden zu wollen. Ein Interpretationsvorgang,
der
ähnlich dem in unserer Gegenwart ist,welche
zunehmend und das
geradezu seuchenhaft nur noch Vorteilsabsichten
in den Handlungen von Menschen erkennt. Erklärung, Entschuldigung,
Kompromißbereit-
schaft können so nicht länger auch in
einer selbstvorteils-unabhängi-
gen Ethik gründen, sondern werden generell
und das oft ganz selbst-
verständlich und ohne moralischen Vorwurf
als Taktikhandlungen des Egoismus verstanden.
Gerade die ehrlich gemeinte Radikalität seiner
Gesellschaftsverwei-
gerung wäre mit der Person des Stasi-Informanten
gar nicht anders möglich als durch die Spaltung in zwei voneinander
strikt getrennte Welten. Bizarrerweise sind gerade diejenigen schnell dabei,
schi-
zophrenes Verhalten unter psychiatrische
Maßstäbe zu stellen, die selbst mal eben von "traumatisert"
sprechen, wie z.B. in meinem Fall der damaligen Inhaftierung, die man als
im genuienen Sinne trauma-
tisierend bezeichnet. Obwohl nach psychopathologischen
Maßstä-
ben ein Trauma nur dann vorliegt, wenn sich das
traumatisierende Ereignis in häufigen Albträumen wiederholt.
Ein Vorgang, der bei mir bezüglich meiner beiden Verhaftungen nie
aufgetreten ist.
Die Wiederholungen des Frank Willmann
Wie er es bereits in seinem Buch getan hat, belügt
Frank Willmann das Publikum auch in Kroskes Film, hier allerdings noch
etwas hef-
tiger. Einmal erklärt er wider die Tatsachen,
daß er seinen Ausreise-
antrag deshalb gestellt hätte, weil seine
Freunde aus der Sprüher-
gruppe gerade zu Haftstrafen verurteilt worden
waren (wurden sie aber erst ein halbes Jahr nach seinem Ausreiseantrag)
und er sich daher nicht länger in Gefahr begeben wollte, zumal die
Stasi laut Willmann offenbar nun bereits bei Kleinigkeiten zuschlug. Öffentlich
-wie die „Spraydosen-Botschafter“- zu fordern, aus dem Staat Gur-
kensalat zu machen, Widerstand zu leisten und
zurückzuschlagen ist in einer Diktatur durchaus keine Kleinigkeit.
Wenn solche Artikula-
tionen direkt in die Untersuchungshaft führen
schließen nur Leute, die von der Realität keine Ahnung hatten
oder sich –heutzutage- im trägen Deutungs-Mechanismus von „Aufarbeitungen“
befinden, daß das MfS mit solchen Verhaftungen anzeigte, daß
es dazu überge-
gangen war, Menschen bereits wegen Banalitäten
zu inhaftieren.
Daß solche Verhaftungen trotz ihrer eindeutigen
Gründe ein all-
gemeines Verunsicherungsgefühl verstärkten
ist damit ja nicht bestritten, man sollte aber das eine vomanderen unterscheiden
und
diesen Unterschied benennen.
Frank Willmann fügt der oben genannten Unwahrheit
noch die hinzu, daß von den zahlreichen Freunden, die inhaftiert
waren, viele gebro-
chen aus dem Gefängnis gekommen wären
und er deshalb durch ei-
nen Übersiedlungsantrag in die BRD diesem
drohenden psychischen Schicksal entkommen wollte. Die Wahrheit jedoch ist,
daß zum Zeit-
punkt seines gestellten Ausreiseantrages gerademal
2 Personen aus der aktuellen Weimarer Subkultur Inhaftiert gewesen und
seit Mona-
ten wieder entlassen waren. Es handelte sich um
die beiden Wehr-
dienstverweigerer J.G. Fischer und J.Onißeit.
Beide sind nicht g0e-
brochen aus dem Gefängnis gekommen. Selbst
wenn dies der Fall gewesen wäre, würde es sich weder um sehr
viele Gefangene noch gar um viele gebrochen aus der Haft entlassene Gefangene
handeln. So also geht Aufarbeitung !
Ganz nebenbei suggeriert es, daß DDR-Haft
bei einem Großteil der Opfer zu einem Bruch der Persönlichkeit
führte. An anderer Stelle erklärt Frank Willmann, man hätte
Jürgen Onisseit ja nicht vor ein Tribunal "zerren"wollen, sondern
nur wissen, warum er sich damals mit dem MfS eingelassen hat. Das hatte
Onne Willmann aber nach seiner Enttarnung längst erklärt. Willmann
behauptet im Film aber das Gegenteil und kommentiert es so, daß er,
wenn sich Onne dieser Frage entziehe, es dann eben auf seinem Waldgrundstück
„verschim-
meln“ solle. Mal abgesehen von der abstoßenden
Wortwahl suggeriert Frank Willmann hier publikumsheischend, daß J.Onisseit
ohne Kon-
takte zu seinen früheren Weimarer Freunden
– von denen er in den letzten 20 Jahren ohnehin nur noch wenige und
das zudem selten gesehen hatte- sozial völlig isoliert sei und seine
Frau Anett im Grunde gar nicht existiere. Zum zweiten geht er einmal mehr
nur von sich und seinen Lebensvorstellungen aus. In der Natur zu wohnen
ist in der Regel die Folge einer bewußten Entscheidung für ein
solches Leben. Onne und seine Frau hatten das bereits lange vor und ganz
unabhängig von seiner späteren Enttarnung so gewählt, wobei
beide schon allein durch ihre Arbeit zahlreiche Sozialkontakte haben, also
diesbezüglich nicht „verschimmeln“ müssen.
Die Erwähnung des Tribunals fungierte ohnehin
nur als sowieso völlig unrealistische Extremkulisse, die durch Vergleich
(Willmanns Vorlie-
be) die eigenen Absichten als gutgemeinte Gesprächsbereitschaft
erscheinen lassen sollte. Doch die Gesprächsbereitschaft bestand in
der Aufforderung zum Geständnis und zur Antwort darauf, warum er sich
mit dem MfS eingelassen hatte. Dies hatte er aber längst erklärt,
nachdem ein Dementi nichts mehr nützte.
Das Tribunal fand im Grunde dann also doch statt,
nämlich durch den vergeblichen Versuch, das Ausbleiben des gewünschten
Verhaltens mit vor der Kamera ausgesprochener sozialer Isolierungs-Kon-
sequenz („dann muß er halt in seinem
Wald verschimmeln“) zu bestrafen, was um so konstruierter wirkte,
weil diejenigen, die Onne auf diese Weise für seine angebliche Ungeständigkeit
strafen wollen sowieso seit einem Vierteljahrhundert keinen oder seltenen
Kontakt zu ihm gehabt hatten. Zudem habe sich Onne in dieses Waldgrund-
stück deshalb zurückgezogen, um nicht
behelligt zu werden, da er befürchten mußte, enttarnt zu werden.
Willmann und Kroske zeigen sich öffentlich fest davon überzeugt.
Es fragt sich, warum Jürgen O. dann erst über 15 Jahre nach Mauerfall
aus Berlin weggezogen ist, wo seine Enttarnung doch seit 1989/90 jederzeit
zu erwarten gewesen war. Da hätte es, wenn das Traumgrundstück
noch nicht gefunden war, ein Umzug in eine andere Stadt doch auf jeden
Fall schonmal getan, um der Konfrontation mit seiner Vergangenheit zu entgehen.
Auch Willmanns Lebensgefährtin Hahn kann es
im Film nicht lassen, auf ziemlich populistische Art und Weise, Jürgen
Onißeit s Verhalten in die absolut verwerfliche Richtung zu interpretieren.
Als er als Wehrdienstverweigerer im Gefängnis saß hätte
er, so Hahn, nur deshalb seine Mithäftlinge nicht bespitzelt,
weil er seinen "Arsch retten wollte“, und fügt hinzu, daß er
sein Leben retten wollte. Zum ersten ist gar nicht bekannt, daß enttarnte
Spitzel im DDR-Gefängnis getötet wurden, zum zweiten hatte die
Stasi im Strafvollzug genauso Tarn- und Schutzmöglichkeiten
wie draußen, zum dritten war Jürgen Onißeit bei Antritt
der Strafe im Straf-Vollzug vom MfS gar nicht kon-
taktiert worden, nachdem er sich bei einem Gespräch
mit dem MfS in Untersuchungshaft dagegen ausgesprochen hatte, auf irgendeine
informelle Weise für das MfS auch im Gefängnis tätig zu
sein. Mit dieser Entscheidung wollte er möglicherweise daraus
ergebenden, für ihn in U-Haft noch gar nicht absehbaren Schwierigkeiten
und Druck-
situationen von vornherein aus dem Weg gehen.
Ich erinnere mich noch an eine Situation im Sommer
1983 in Weimar, als Onne Wochen nach seiner Freilassung eines Tages
bei der Kri-
minalpolizei vorsprach und die anwesenden Beamten
mit zur Hand-
fesselung entgegengehaltenen Händen und der
Aufforderung „Ver-
haftet mich!“ um seine Re-Inhaftierung anhielt.
Er begründete es mir gegenüber damals so, daß er lieber
im Knast sein wolle als die ihm zur Wiedereingliederung aufgetragen
Arbeit als Gartenzaunstrei-
cher noch länger auszuführen. Doch der
wahre Grund war sicher-
lich vor allem der: Im Gefängnis akzeptierte
das MfS seine Koope-
rationsunwilligkeit viel leichter als draußen.
Inzwischen hat sein Bruder Thomas wieder Kontakt
zu Jürgen und erkennt an, daß er sich für den Film zur
Verfügung gestellt und dort auch erklärt hat. Auch wenn Kroske
äußerte, die Mitwirkungswünsche gingen von J.Onisseit aus,
der sich öffentlich erklären wolle, so war es doch auch gerade
Kroskes Wunsch, Jürgen O. im Film dabei zu haben und ihn vor der Kamera
mit seinem Bruder versuchsweise dialogisieren zu lassen. Kroske hatte,
gerade
weil er den Film um den angeblichen Bruderverrat hin zentrierte ein grosses
Interesse an der Mitwirkung Jürgen Onißeits und wäre sicher
enttäuscht gewesen, wenn sich Jürgen verweigert hätte. Er
stellte es aber später so dar, als hätte er Jürgens
dringendem Wunsch, sich zu erklären, seine medialen Möglichkeiten
zur Verfügung gestellt und ihn mit seinen ausgestreckten Mediatorenarmen
willkommen geheißen.
„Ossi gucken“
In einer anderen Sequenz sieht man Frank Schuster
auf einem ehe-
maligen Mauer-Aussichtsturm. Während er von
dort aus in einen fik-
tives realsozialistisches Ostberlin sieht, um
den Blick der Berlin-
Touristen nachzuahmen spricht er davon, daß
die damaligen Berlin-
Besucher auf diesen Aussichtstürmen nur "Ossi
gucken", also einem Exotismus des kommunistischen Alltags- Grauens nachgehen
wollten, der logischerweise weit entfernt war für reales Verständnis
für die von der Todesgrenze in Gefangenschaft gehaltenen DDR-Bürger.
Ohne es auszusprechen wird diese Aussage Frank Schusters durch den Film
so akzentuiert, daß der weisse Strich sich auch gegen solches Touristen-Verhalten
gerichtet hat, was jedoch real nicht der Fall gewesen ist. Einmal
abgesehen davon, daß man von so einem Turm Ossis, wenn überhaupt,
dann nur als bewegte Punkte erkennen konnte, kann man Berlinbesuchern mangelnde
Verständnisfähigkeit nicht deshalb vorwerfen, weil sie sich von
so einem Turm aus den Todesstreifen ansahen. Selbstverständlich war
beim Blick über die Berliner Mauer neben Abscheu und Entsetzen oft
zugleich eine negative Faszination mit im Spiel. Was erwartet man von Men-
schen, die aus einem völlig anderen als dem
realsozialistischen Lebensalltag kamen ? Gerade diese Aussichtstürme
gewährten jedem, der es wollte einen Einblick in die organisierte
Tödlichkeit hinter der Mauer und hielten damit den Gegensatz
zwischen Todes-
streifen und Freiheit optisch am Leben.
Der plötzliche Perspektivwechsel aus der
eigenen Selbstverständ-
lichkeitder Freiheit und situationskonkret
vom freien Westberlin aus in die Todegrenze verschaffte einen Erkenntnisgewinn
über die eigene Käseglocke, in der man sich befand. Von unten
aus betrachtet sah man nur die schöne bunte Mauer im Ambiente des
westlichen Lebens und seiner Zeichen.
Von oben, vom Aussichtsturm aus war man optisch
mit dem Todes-
streifen konfrontiert und reflektierte dadurch,
in welcher Käseglocke man sich unterhalb der Mauer eigentlich befand.
Auch der eklatante Widerspruch zwischen dem Westberliner Leben inklusive
der exotisch wirkenden bunten Expressivität der Westmauer und der
eiskalten schwarz-weiß anmutenden Todeslandschaft zwischen Ost-und
Westmauer wurde auf dem Aussichtsturm schnell sicht-und im Idealfall auch
fühlbar. Nur weil wir als Ex-DDR-Bürger eine tiefe Erfahrung
von den dortigen Verhältnissen hatten, berechtigt das nicht, allen,
die diese Erfahrung nicht und stattdessen völlig andere gemacht haben
zu unterstellen, sie hätten sich auf den Aussichts-
türmen nur mit einem politischen Realo-Thrill
vergnügt, auch wenn es sicher Menschen gab, bei denen diese Annahme
zutreffen könnte.
Grepo Fittinger
Das "Grauen des Ostens" stellt in Kroskes „Striche
ziehen“ zweifellos Grenzposten Fittinger dar. Der Blick des Zuschauers
wird konfrontiert mit tiefen Augenringen und einer in bestimmten Affektaugenblicken
immer noch sichtbaren Brutalitäts-Entschlossenheit, die den ganzen
Verhaltens-Faschismus der selbsternannten Antifaschisten offenbart. Daß
diese Person unter anderen Bedingungen mal mitleidloser Ver-
folger von Klassenfeindüberläufern gewesen
ist kann man sich an-
gesichts des noch im -nach seiner NVA-Entlassung
einsetzenden- Militanz-Verfall sichtbaren Fascho-Potenzials sehr gut vorstellen.
Wobei das, was Fittinger dann zu den damaligen
Vorfällen äußert ganz ohne nostalgische Klassenkampfhärte
auskommt und statt-
dessen von ihm recht entspannt artikuliert wird.
Doch auch Fittinger kann dem„Aufarbeitungs-Voodoo“ schlechter Gewissens-Mache
offenbar nicht entkommen. So heuchelt er gegen Ende seiner Darlegungen
die ehrliche Mitgefühlsabsichten vorspielende Frage ins Mikrofon,
wie es Hasch „denn heute so geht. Ich hoffe ganz gut.“ Dabei erübrigte
sich diese Frage, weil Fittinger längst wußte, wie es
mir „heute so geht“, denn um die wahren Umstände der Verhaftungs-
situation aufzuklären hatte ich mit ihm in
den Tagen nach Veröffent-
lichung von Willmanns Buch telefoniert, wobei
wir auch über unser aktuelles Befinden sprachen. Die Heuchelei in
dieser seiner in die Kamera gestellten Frage bestand darin, daß
er, offenbar um nicht als herzenskalter, reueloser Täter dazustehen,
den emotionalen Pflich-
ten eines solchen Aufarbeitungs-Films Genüge
tun wollte und deshalb diese für ihn seit unserem Gespräch
überflüssig gewordene Frage stellte.
Interessant an Fittingers Auftritt im Film ist
aber vor allem der As-
pekt, wie plötzlich jemand, der damals in
völligem Rechtbewußtsein den ihm absolut notwendig erscheinenden
Job der Grenzbewachung erledigte sich heute plötzlich in der Rolle
wiederfindet, sich dafür irgendwie als böse selbstwahrnehmen
und letztlich entschuldigen zu müssen, obwohl er getreu seiner steifen
Sozialisation weiterhin aus Überzeugung loyal gegenüber den Zielen
und Praktiken seiner damaligen Vorgesetzten ist, wie auch der ihm anzusehende
Stolz beim Vorführen seiner zahlreichen militärischen Ehrenorden
zeigt. Er fühlt sich gewissermaßen angehalten, ein gewisses
Mitgefühl ge-
genüber seinen damaligen Opfern zu zeigen,
die er aus weltan-
schaulichen Gründen wiederum aber gar nicht
haben kann. Und so-
lange er seine unveränderte Gesinnung offen
vertritt ist jede Empa-
thie gegenüber dem in dieser Gesinnung inbegriffenen
Feind letztlich nur gespielt.
Der angebliche „Strich durch die Rechnung“
Es war der DDR selbstverständlich lieber,
die Westseite ihrer Mauer wäre ebenso deprimierend und einschüchternd
grau geblieben, aber sie wußten auch, daß sie die Malereien
nicht würden verhindern können. Eine graue hohe Beton- Mauer
wirkt einschüchternder und brutaler als dieselbe, die bemalt ist mit
all den Bildern und Botschaften, die Ausdruck von westlicher Großstadt,
kultureller Freiheit und oft auch von artikuliertem Protest gegen
diese Mauer gewesen sind.
Wenn Willmann in Kroskes Film vom weissen
Strich als einem "Strich durch die Rechnung" spricht, so fragt man sich,
welche Rechnung er meint. Der weisse Strich sollte darauf hinweisen, daß
die Mauer eine Westberlin einschränkende Grenze und keine Staffelei
ist und richtete sich dabei vor allem an die, die an die Mauer gemalt hatten.
Es handelte sich eher um einen heftigeren Reflexions-Hinweis denn um Protest.
Aber von einer Rechnung zu sprechen, die Mauermaler und Mauerbauer aufgestellt
hatten ist Wunschdenken, um dem eigenen Tun eine symbolisch höhere
Bedeutung zu verleihen als sie real hatte. Es gab eine solche Rechnung
gar nicht, da es keine Be-Rechnung gab, die wiederum Voraussetzung für
erstere gewesen wäre. Prämisse in der Weise, daß es zur
berechnenden Absicht des Ostens gehörte, die Westmauer-Malereien als
dem SED-Regime willkommene Optimierung der Mauerakzeptanz zu tolerieren.
Wenn dem so gewesen wäre, wie ist es dann
zu erklären, daß die
DDR-Grenzposten sich recht häufig an die
Westseite der Mauer egaben und dort Malereien übermalten."Ja, des
Nachts kamen gelegentlich Vopos über die Mauer, mit einer Leiter oder
durch eines der seltenen Türchen in der Mauer....um Graffiti zu überwalzen
mit der grauen Farbe des Betons. Denn Ordnung und Disziplin mußte
sein"(Kurt Ausfelder in "Kunst oder Chaos?" Seite 25)
Ebenso malten die Mauermaler völlig ohne
Be-Rechnung und ganz ohne Absicht einer durch bunte Bilderwelten erreichbare
Toleranz der Mauer. Eher malten sie gegen die deprimierende Wirkung des
grauen Einerleis an, was nicht automatisch zur Affirmation der Mauer führt,
da deprimierende Anlässe ganz unterschiedliche
Reaktionen auslösen können: Einschüchterung und Niedergeschlagenheit
einerseits, Aggression und Motivation zur Zerstörung des deprimierenden
Grundes andererseits. Also beendeten all die Mauermalereien neben der aggressionsprovozierenden
auch die einschüchternde Wirkung des "antifaschistischen Schutzwalls".
Die Vegetation der urbanen Zeichen auf Wänden,
Zäunen, Rohren, Werbeplattformen, Fenstern hatte sich bis zur
Mauer vorgewuchert und repräsentierte die Expansivität eines
mehr oder weniger daseinsreflektierenden städtischen Zeichendiskurses.
Statt dem Diktum der Funktionen nachzugeben, zweckentfremdete man sie einfach
zu virtuellen Welten einer nicht bloß physisch und zweck-
orientiert wahrzunehmenden Wirklichkeit. Drastisch
artikulierte Negationsabsicht gegenüber den zweckentfremdeten Objekten
war dabei ebenso anzutreffen wie auf der anderen Seite die durch die
Lebendigkeit der Zweckentfremdungen einsetzende
Alltags-Akzeptanz gegenüber diesen Objekten. Gegen den Teil, der eher
zur Akzeptanz
tendierte sollte der Strich ein reflexionsauslösendes
Zeichen sein.
Unter vier(tausend) Augen
Gegen Ende des Films nimmt die Dramaturgie des
Bruderkonflikts nochmal Fahrt auf und läßt den Streit zwischen
Jürgen und Thomas ungeschnitten laufen. Warum die sich über Onnes
Stasi-Einlassung ausgerechnet vor laufender Kamera überhaupt zum ersten
Mal diesbezüglich auszusprechen versuchen befremdet und fühlt
sich, wie ich schon weiter oben feststellte, emotional pervertiert an.
Handelt es sich doch um eine so innerfamiliär sensible Angelegenheit,
die im Grunde nur unter vier Augen ausgesprochen werden kann, was sie ja,
nimmt man den Blick der Kamera ein, im Grunde auch tut, nur daß
man als Blickender dem Geschehen bereits weitere zwei Augen hinzufügt.
Man nimmt also an einer „Intimität“ teil, die gar keine ist, eben
weil man daran teilnimmt. Darin besteht der filmisch inszenierte Situationsbetrug
dieser dokumentierten "privaten" Auseinanderset-
zung.
Diese Auseinandersetzung gestaltet sich in "Striche
ziehen" dann so, daß Thomas seinem Bruder Verrat vorwirft, dieser
ihn aber nicht partout bestätigen will, da er nur unwissentlich Namen
möglicher Sprühakteure gesagt habe. Thomas setzt nach, woraufhin
Jürgen das Gespräch abrupt für beendet erklärt und
sein Körper-Mikrophon abnimmt. Aber wer geglaubt hätte, die versuchte
Aussprache sei nun tatsächlich beendet sieht sich getäuscht,
denn die Auseinanderset-
zung setzt sich fort und das erst richtig, denn
auf einer gegenseitig endlich von beiden akzeptierten Ebene der Unvereinbarkeit
beider Positionen. Thomas bemerkt dann, daß auch eine Mutmaßung,
gerade wenn sie von einem „Szene-Insider“ wie Jürgen kommt, letztlich
ein so deutlicher Hinweis für das MfS bedeutet hat, daß sie
einem Verrat gleichkommt, weil die so ins MfS-Visier geratenen Personen
in den daraufhin stattfindenden Verhören derart verunsichert sind,
daß sie ihre Tat letztlich nicht länger leugnen.
Was Thomas sagt, ist aber nur Produkt (s)einer
Nachbetrachtung, nachdem Onnes „Täter“- Mutmaßung zum Aufklärungs-Erfolg
führte. Da sie sich nun als mit den aufzuklärenden Personalien
synchron erwiesen hat ist der Sprung zum Verrat im Grunde nur noch ein
Katzensprung. Doch die Mutmaßung hätte durchaus auch in die
Irre führen können. Wäre es dann etwa ein Falsch-Verrat
gewesen?
Es ist am Ende irgendwie verständlich, daß
Jürgen einen Verrat nicht eingestehen will, weil er eben nicht Mitwisser
dieser Aktion gewesen ist. Jedoch verweist die Tatsache, daß er seinen
Bruder – entgegen der allgemeinen Behauptung vom Bruderverrat- der Stasi
eben gerade
n i c h t genannt hatte, obwohl der ja auch verhaftet
worden ist, da-
rauf, daß er vermutlich annahm, mit seinem
Personenkreis-Ver-
mutung an das MfS vielleicht richtig zu liegen,
aber seinen Bruder dabei verschonen wollte. Letztlich kann sich Onne
trotz damaliger Mutmaßungen, die er sicher nicht einfach bloß
aus der Luft gegriffen hatte ganz komfortabel einreden, daß er nicht
wirklich etwas gewußt und verraten hat.
Am Ende bleibt jedoch die Tatsache, daß
nur Wissen verraten werden kann, Ahnungen und Vermutungen, auch wenn sie
natürlich nicht bloß
aus heiterem Himmel geäußert werden.
hingegen nicht.
Dies muß man akzeptieren und aushalten können.
Die angeblich wahren Täter
In einer Szene des Films äußert Onne
dem Regisseur Gerd Kroske gegenüber, daß der doch lieber die
wahren Täter befragen solle und nicht ihn, denn er selbst sei bloß
Opfer. Genau das ist er aber eben nicht, denn insofern er sich ohne Not
eingelassen hat gehörte er zu jenem für eine Diktatur notwendigen
Heer an Spitzeln, die gerade deshalb so elementar wichtig und effektiv
für die Machterhaltung sind, weil sie das ihnen entgegengebrachte
Vertrauen ihres sozialen Umfeldes ausnutzen können und mit ihrem MfS-Auftrag
als normale Mitbürger mitten im Alltags-Leben agieren. Deshalb sind
es genau sie, ohne die ein -noch ohne Internet- und Handy-Abschöpfung
arbei-
tendes- Überwachungssystem nicht jene
Datendichte und grundsätz-
liche Einschüchterung generiert, durch die
es seine absolute Macht festigt. Die Gewalt kann so im Verborgenen stattfinden,
sodaß sie absoluter nicht sein könnte, während die öffentliche
Konfrontation,
so wie sie sich dann 1989 zeigte, trotz der teilweise
offen staats-
gewalttätigen Szenerie bereits ein Zeichen
der Freiheit ist. Gegen die graue undtotale Ohnmacht eines vom MfS still
und leise verhafteten Dissidenten ist das Blut eines während einer
oppositionellen Kund-
gebung vor laufenden Kameras zusammengeschlagenen
Demon-
stranten einer öffentlichen Massen- Kundgebung,
so paradox es klingt, ein Bild der Freiheit, eben weil es die Gewalt sichtbar
macht und zu ihrer Veröffentlichung beiträgt. Ganz so,
als belichte es endlich die bestehenden Gewaltverhältnisse und beende
damit die totale Finsternis der unsichtbaren Gewalten alltäglichen
Schweigens und der Verbote. Geheimdienst-Informanten garantierten mit ihrer
Tätigkeit die Stabilität dieser absoluten Gewalt,in der jeder
sichtbare
Widerstand bereits im Vorfeld unterbunden wird.
Denn die Sichtbar-
keit des Widerspruchs gegen ist für die Macht
wie eine ansteckende Krankheit. Das Bild der Nichtidentität könnte
gerade deshalb eine Epidemie des Widerspruchs auslösen, weil es bisher
in Unsichtbarkeit gehalten wurde.
Daß Onne dann zunehmend in Bedrängnis
geriet, weil er sich in der Möglichkeit, die Kontrolle über Maß
und Präzision seiner Informanten-
tätigkeit zu behalten getäuscht hat,
vielleicht auch täuschen wollte, macht ihn nicht zum Opfer, allenfalls
zum Opfer seiner eigenen Illusionen über die Entscheidungsmöglichkeiten
beim Tätigsein für das MfS, wobei es sich vermutlich statt um
Illusionnen eher um Selbsteinredung gehandelt hat, die seine Entscheidung
zur MfS-Mit-
arbeit ihm selbst gegenüber verharmlosen
und beruhigen sollte. Hatte er denn ernsthaft angenommen, er könne
die Handlungskon-
trolle gegenüber so einem gewaltigen Überwachungsapparat
tatsächlich behalten. "Einfach erstmal ins Blaue hinein" war
vermutlich die Devise, die jedoch schon bald in eine Art blaues Wunder
mündete.
-
Wie man auch nach Filmende noch Regie über
die Tatsachen führt.
„Weil er sich nicht für den Film zur Verfügung
gestellt hat, gehe ich davon aus, daß Wolfram Hasch durch die damaligen
Ereignisse seiner Haft einen Schaden abbekommen hat“ äußerte
Gerd Kroske sinnge-
mäß bei Anfragen, die im Rahmen von
Vorführungen seines Films danach an ihn gestellt wurden. So einfach
ist das.
Was für eine Logik ! Anders formuliert: „Wer
sich für mein Projekt nicht zur Verfügung stellt, der hat Angst
vor meinem Thema“.
Möglicherweise fühlte sich Kroske gekränkt,
daß seine auf Einfüh-
lungsvermögen orientierte Selbstidentität
bei mir nicht den von ihm fest eingeplanten gewünschten Erfolg gebracht
hat. Wie auch, ich hatte längst beschlossen, mit Frank Willmann niemals
mehr in einem gemeinsamen Projekt aufzutreten, seitdem ich sein Buch gelesen
hatte. Doch während die anderen, denen ich seit Lektüre von Will-
manns Dokumentation und auch wegen der zunehmenden
Ereignis-
Überbewertung absagte, diese Entscheidung
ohne solche erfundenen drastischen Schlußfolgerungen akzeptierten
ist es für Gerd Kroske vermutlich einfach nicht hinnehmbar, daß
man seiner „wie im Stras-
senbau den Boden unter dem Asphalt freilegenden“(
sinngm. Zitat Kroske) Arbeitsweise widersteht. Das ist der eine Grund.
Der andere ist neben dem Bemühen um hundertprozentig harmonischen
Eindruck der, daß er jemandem wie Frank Willmann, der ihm letztlich
dieses großartige Filmprojekt über einen Bruderverrat durch
seine Buchveröf-
fentlichung erst eröffnet hat, nun nicht
in die Pfanne hauen möchte. Denn vor allem Frank Willmanns Zensur
des bereits erwähnten Fotos und seine mit auch faktischer Unwahrheit
operierende Selbst- und Milieu-Stilisierung seiner Vergangenheit war Ursache
meiner Nicht-
teilnahme an Kroskes Film. Gründe die man
zumindest andeutungs-
weise hätte erwähnen können und
sei es in der diffusen Weise, daß Wolfram Hasch mit Frank Willmann
ein Problem hat und daher mit ihm nicht gemeinsam öffentlich erscheinen
möchte.
Ich hatte Gerd Kroske von vornherein die Teilnahme
abgesagt, ihm aber zumindest angeboten, bei Bedarf für kleinere Auskünfte
bei der Informationrecherche und zur Freigabe meiner Stasiunterlagen zur
Verfügung zu stehen, woraufhin er mich einfach für seinen Film
ein-
plante, bis ich den Stecker zog, als es keinen
Zweifel mehr gab, daß aus dem kleinen Finger die ganze Hand werden
sollte.
Bis zum Lesen von Hahn/Willmanns Buch hatte ich
– aller Thema-
Wiederholungsmüdigkeiten zum Trotz
"Spiegel", WDR, FAZ,RBB, Deutschlandfunk und Frank Willmann Interviews
gegeben, zudem für Willmanns Buch einige Abende an einem durchaus
vergangenheits-
reflektierenden Text gesessen. Auch hatte ich
in der ehemaligen
Haftanstalt Bautzen II an einem Podiumsgespräch
in dem dortigen teilgenommen. Reichte das nicht, um die Vermutung von Berüh-
rungsängsten mit der Vergangenheit eher aus-
als einzuräumen?
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